Historisches

Die christliche Kirche hat in ihrer Geschichte oft eine Neuorientierung nötig gehabt. Immer wieder gab es Gruppen, die an den ursprünglichen Auftrag erinnerten und sich dafür einsetzten. Als im Verlauf des 19. Jahrhundert die päpstlichen Machtansprüche immer deutlicher wurden, haben verschiedene Gruppen an die eigentliche Aufgabe der Bischöfe von Rom erinnert: Sie sollten „Erste unter Gleichen“ sein und die Kommunikation der Liebe in der Gesamtkirche fördern und schützen. Doch mit der übereilten Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem I. Vatikanischen Konzil (1870) haben zentralistische und restaurative Kräfte ein Kirchenverständnis konstruiert, das die Beziehung zu den orthodoxen Kirchen schwer beschädigt und in der Westkirche neue kirchliche Bewegungen hervor rief. Letztlich lassen sich die „päpstliche Unfehlbarkeit“ und der sog. „Jurisdiktionsprimat“ (das unanfechtbare Richteramt des Papstes) als eine unangemessene Angstreaktion auf die Aufklärung, sowie die tiefgreifenden Veränderungen im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereich verstehen.

In der Schweiz sammelten sich ab 1871 eingeständige und einsichtige Männer und Frauen, Laien und Geistliche, um die „Freiheit der Kinder Gottes“ in der katholischen Kirche zu schützen. Sie wurden wegen ihres Widerstandes gegen das unhistorische Unfehlbarkeits-Dogma schwer diffamiert und kirchenintern unter Druck gesetzt. Das Jesus-Wort „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh 8,32) hat sich für die Gründung der Christkatholischen Kirche bewährt. Die Verpflichtung auf die spirituellen Quellen und die synodale Verfassung der frühen Kirche sind zum Kennzeichen der neuentstandenen Kirche geworden. Ein sinnerfülltes, religiöses Leben sollte für alle in der Spannung von Eigenverantwortung und Kirchenbezug ermöglicht werden. Das Neue Testament spricht von der „Nachfolge Jesu“ und vom Gehen in seinen „Fußstapfen“. Den verpflichtenden Maßstab bildet die frohmachende und in die Weite führende Botschaft von Jesu von Nazareth. In Lehrfragen werden auch die Allgemeinen Kirchenversammlungen der ersten Jahrhunderte akzeptiert. Spätere Veränderungen an der Glaubenssubstanz sind aus Sicht der Christkatholischen Kirche unnötig und nicht zulässig.

Auf diese Weise wurden wichtige demokratische Elemente für die Gesamtkirche bewahrt. Die Christkatholische Kirche betont die Kompetenz aller getauften und ihre Geistbegabung. Daher wird die Gemeinde in zentralen Teilen von Laien geleitet: So übernehmen Gemeindeglieder wichtige Aufgaben in der Organisation der Führung und der Prägung der Gemeinde und der Kirche. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit der römischen Kurie kam es 1872 zur Gründer der Christkatholischer Gemeinden. Ab 1873 entstanden auch in der Region Basel selbständige Gemeinden in denen sich vor allem liberale, aufgeschlossene Katholiken sammelten. 1876 wurde die Christkatholische Kirche neben der Römisch-Katholischen und der Evangelisch-Reformierten Kirche offiziell als Schweizerische Landeskirche anerkannt.

Für das Verständnis der christkatholischen Position hat ein Gedanke des h. Augustinus (354-430) eine grosse Bedeutung: „Im Notwendigen Einheit – in Zweifelsfällen Freiheit – in allem die Liebe.“
Ebenfalls ist der Grundsatz des Theologen Vinzenz von Lerin (gest. um 450) wichtig: „Katholisch ist das, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist.“
Publiziert von Franz Osswald am 29.07.2013