Silbermannorgel



Um eine Orgel von der zu ihrer Zeit schon berühmten Orgelbauerfamilie Silbermann anschaffen zu können, wurde ab 15. Januar 1766 eine Geldsammlung durchgeführt. Der Orgelmacher Johann Andreas Silbermann, geboren am 26. Juni 1712 reichte am 20. Januar 1766 einen ersten, nicht ausgeführten Kostenvoranschlag mit Disposition ein. Die erhaltene Zeichnung Silbermanns gehört zu diesem Voranschlag. Es war ein einmanualiges Werk mit Pedal und 14 Registern vorgesehen. Am 1. Juni 1766 unter schrieb Silbermann den endgültigen Vertrag, welchen er mit einem Begleitschreiben von Mühlhausen aus schickte. Die Orgel war wesentlich größer disponiert als in der ersten Offerte - mit einem Manual, Pedal und 16 Registern wurde die Orgel in Auftrag gegeben. Ein zusätzliches Rückpositiv war vorgesehen und reserviert. Das Instrument wurde auf dem bestehenden Lettner platziert. Der Chorraum war damals u.a. Salzlager und durch eine Holzwand abgetrennt, dahinter waren die Blasbälge plaziert. In einem Schreiben vom 27. September 1766 berichtet Silbermann, daß er bereits mit den Arbeiten an der Orgel angefangen habe. Am 10. Januar 1767 bestimmten die Vorsteher der Kirche, daß auf dem Schild, welches auch jetzt noch die Orgel krönt, folgender Text stehen sollte: "Ex liberalitate civium".
Silbermann berichtet am 24. April 1767, daß er mit sechs Mitarbeitern an der Prediger-Orgel arbeite, und daß die Arbeiten bereits weit vorangeschritten seien. Der Orgelbauer plante, im August 1767 voraussichtlich mit der Orgel nach Basel zu kommen. Am 5. September kamen die Fuhren in Basel an. Johann Andreas Silbermann, sein Sohn Daniel und zwei Gesellen fingen mit der Montage der Orgel an. Silbermann schrieb in seinen persönlichen Aufzeichnungen: "8. Oktober 1767 - dan war der Orgelschmaus auf dem Schützen Haus!" Dieses Festessen beanspruchte fast den ganzen Tag, da am gleichen Tag keine Arbeiten nach etwa 10 Uhr vormittags eingetragen sind.
Es war der 10. Oktober, als die Orgel ganz fertig war und Silbermann am Schluß seiner Notizen schrieb: "Mittag Gott sei es gedanckt fertig worden".
Ein Jahr nach Vollendung der Orgel schickte Silbermann am 14. Oktober 1768 seine Disposition und den Kostenvoranschlag für das geplante Rückpositiv, sowie die Kosten für das reservierte Register Voix humaine 8´ und Tremulant. Das Rückpositiv wurde mit 6 Registern disponiert, das Zungenregister Cromhorne 8´ war wiederum reserviert. Mit dem Einbau des Rückpositivs wurde am 29. April 1769 durch Johann Andreas und Daniel Silbermann und dem Gesellen Conrad Sauer angefangen. Das Rückpositiv war am 24. Mai 1769 fertig erstellt. Um die ganze Orgel zu montieren, zu intonieren und zu stimmen, benötigte Silbermann nur 36 Arbeitstage.

Die hohe Qualität der Silbermann-Orgel bewirkte, daß der ursprüngliche Zustand des Werkes bis 1875 unverändert erhalten blieb! In dieser Zeit wurde der Abbruch des alten Lettners und der Neubau einer Westempore geplant. Der Luzerner Orgelfabrikant Friedrich Goll lieferte am 1. Oktober 1875 sein Gutachten ab. Sein Vorschlag war eine seiner Zeit entsprechende Umänderung und zum Teil ein Neubau der Orgel. Er empfahl u.a. die kleineren Stimmen wegzunehmen. Am 2. April 1876 wurde beschlossen, den Basler Orgelbauer J. Graf die Orgel abbrechen zu lassen. Graf erwähnt, daß er alle Einzelheiten der Orgel genau aufnehmen wird, u.a. Fotoaufnahmen der Orgel (erhalten), Zeichnungen, Winddruck usw. Die Orgel wurde provisorisch im Zeughaus gelagert. Der Vertragsabschluß mit F. Goll ist am 10. Dezember 1877 datiert worden. Die Orgel wurde auf der neuerstellten Westempore über der Haupteingang platziert. Sie wurde total umdisponiert: neue mechanische Kegelwindladen, freistehender Spieltisch, neue Prospektpfeifen usw. und am 18. Juli 1879 wieder eingeweiht.
Bereits zwei Jahre später wurden Reparatur und Neustimmung des Werkes verlangt. Da das Dach sowie die gesamte Rückwand des alten Silbermann-Gehäuses brutal entfernt worden waren, entstanden bereits nach einigen Jahren größere Schäden. In ei nem Schreiben vom 25. April 1885 heißt es: "In der Orgel liegen tausende toten Muggen herum. Die Pfeifen und vor allem die Zungen sind richtig verstopft mit toten Fliegen!" 1899 wurde das Rückpositivgehäuse abgebrochen, das zweite Manual auf pneumatische Traktur umgebaut und 1909 ein elektrisches Gebläse eingebaut mit der Begründung, daß immer Schwierigkeiten bestehen, den Kalkanten zum gewünschten Zeitpunkt zu bekommen. 1911 war die Orgel wegen Wasserschäden wieder unspielbar und musste nochmals repariert werden.
Die Nachteile der schwerwiegenden Eingriffe in die geschlossene Silbermann-Konzeption konnten nicht ausbleiben und so setzte sich die Leidensgeschichte der Orgel im Prinzip bis zu der 1974 begonnen Kirchenrestaurierung fort. Dass das Instrument zu diesem Zeitpunkt total entstellt und in einen äußerst schlechten Zustand geraten war, braucht kaum erwähnt zu werden.
Schon während der Vorbereitungszeit der Kirchenrestaurierung waren alle Beteiligten sich einig, daß nur eine so genau wie mögliche Rekonstruktion der Silbermann-Orgel in Frage kam. Nach ausführlichen Untersuchungen konnte erfreulicherweise festgestellt werden, daß noch mehr von Silbermans Werk erhalten war, als anfänglich angenommen wurde. Zudem konnten die archivarischen Quellen einmalig komplett und lückenlos aufgefunden werden. Die von Prof. Marc Schaefer, Strasbourg freundlicherweise zur Verfügung gestellten Angaben vervollständigten das ganze Material.

Die nicht zum Silbermann-Werk passende neugotische Empore wurde aus architektonischen Gründen entfernt. Es wurde eine neue Empore in reiner Holzkonstruktion gebaut; dabei konnten die originalen Säulen, welche einst die Silbermann-Orgel in der Leonhardskirche trugen, verwendet werden.
Alle Einzelheiten der Rekonstruktion wurden im Material und in der Konstruktion genau den silbermännischen Vorbildern entsprechend ausgeführt. Das von Silbermann ausdrücklich empfohlene Rückpositiv-Register Larigot 1 1/3´ sowie eine Flöte 4´, welche sonst in der ganzen Orgel nicht vorkommt, wurden der Disposition hinzugefügt. Um auch die ursprüngliche Trakturanlage wieder herstellen zu können, wurde auf den Einbau von Pedalkoppeln verzichtet, Prestant 4´ und Fourniture 2´ jedoch hinzugefügt. Das Gehäuse wurde sorgfältig restauriert und komplettiert. Dächer, Rückwände, Spieltisch und das ganze Rückpositivgehäuse (außer der Frontseite) wurden rekonstruiert.
Bernhardt Edskes


Dispositionen der Silbermannorgel in der Predigerkirche

Gehäuse von Johann Andreas Silbermann, 1767/69
Werk von Metzler Orgelbau, Dietikon 1978 unter Verwendung von Originalpfeifen.

MANUAL C-d3
Bourdon* 16´ H/M
Montre* 8´ Z
Bourdon 8´ H/M
Prestant 4´ Z/M
Nasard* 22/3´ M
Doublette 2´ Z/M
Tierce 13/5´ M
Sifflet B/D 1´ Z/M
Cornet* 5fach ab c1 M
Fourniture 3fach 1´ Z/M
Cimbale 2fach 1/2´ Z/M
Trompette B/D 8´ Z/B
Voix humaine 8´ Z/B
Tremblant doux

RÜCKPOSITIV
Bourdon 8´ H/M
Prestant 4´ Z
Flûte 4´ M
Nasard 22/3´ M
Doublette 2´ Z/M
Tierce* 13/5´ M
Larigot 11/3´ M
Fourniture 3fach 2/3´ Z/M
Cromhorne 8´ Z/B
Tremblant fort

PEDAL C-d1
Soubaße* 16´ H
Flûte* 8 H
Prestant 4´ M
Fourniture* 3fach 2´ Z/M
Bombarde 16´ H/B
Trompete 8´ Z/B

Manual-Schiebekoppel
Temperatur nach Andreas Werckmeister
Tonhöhe: a=415 hz
B/D = Baß/Diskant geteilt
H = Holz
H/B = Holzbecher
H/M = Holz, Rest Metall
Z/M = Zinnkörper, Bleifüße und Kerne
Z = Zinn
Z/B = Zinnbecher
Bei den mit * bezeichneten Registern sind Silbermann-Pfeifen verwendet worden
Predigerkirche (Foto: Hanspeter Rast)

Predigerkirche (Foto: Hanspeter Rast)

Publiziert von Franz Osswald am 22.11.2024   Besuche: 35 Monat