Eine Wolke in der Kirche?

Wolke von Ursula Palla

An der Basler Predigerkirche am Totentanz machen sechs Weltformatplakate auf ein entstehendes Kunstwerk aufmerksam: Eine Wolke in der Kirche. Was steckt dahinter?







Zur Finanzierung des Projekt Wolke können Kugeln (Die Wolke besteht aus 300 Glaskugeln) gespendet werden. Preis pro Kugel: 222 CHF. Christkatholische Kirche Basel, Totentanz 19, 4051 Basel. Postkonto 40-1232-2 Vermerk «Wolke».


Eine Wolke in der Kirche?

Der Chorraum der Basler Predigerkirche wurde im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Ursprünglich befand sich ein dreiflügeliger Altar an der Chorwand. In der Reformationszeit wurde fast alles zerstört. Nach der grossen Renovation 1978 hat der Altar in der Mitte des Chorraums seinen Platz gefunden.

2020 hat die Christkatholische Kirche Basel-Stadt einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Chorraums mit zehn Künstlerinnen und Künstlern durchgeführt. Sieben Werke wurden eingereicht. Eine Projektgruppe hat das Werk «Wolke» von Ursula Palla ausgewählt.

Die Wolke von Ursula Palla besteht aus dreihundert mundgeblasenen, kugelförmigen Glaselementen – jedes Element ist ein Unikat. Die einzelnen Elemente werden verbunden, so dass sieben verschiedene Arrangements mit je einem Gewicht von ca. 28 bis 32 Kilogramm entstehen.

Ein Teil der Glaselemente wird sandgestrahlt und ein zweiter Teil bleibt transparent. Dies akzentuiert das Schwebende und Leichte der Wolke und lässt auf diese Weise die sich dahinter befindenden Fenster durchscheinen. Im einfallenden und sich stets verändernden Tageslicht erscheint die Wolke immer wieder neu.

Bei Sonnenlicht werden die opaken Stellen zur Projektionsfläche und es sind farbige Lichtreflexe der floralen Glasfenster zu sehen – das Fragile und Flüchtige der Wolke wird betont.

Grösse der Wolke: 2.80 m Breite x 1.80 m Tiefe x 1.90 m Höhe

Im ersten Quartal 2022 wird die Wolke in einer Feier eingeweiht.


Ursula Pallas schreibt in ihrer Wettbewerbs-Eingabe über den Entwurf:

«Als Kunst- und Bauprojekt für den Chorraum schlage ich eine gläserne Wolke vor. Sie ist Sinnbild für Transparenz, Flüchtigkeit und Vergänglichkeit.

In der Kunst gingen Wolken und Religionen seit Jahrhunderten eine enge Verbindung ein, so dass in zahlreichen Kirchen Wolken in grossformatigen Wand- und Deckenmalereien zu bestaunen sind. Aber auch in der Moderne und der zeitgenössischen Kunst schufen Künstler wie Claude Monet, Emil Nolde, Gerhard Richter und Andy Warhol bedeutende Wolken-Bilder.

Eine gläserne Wolke schwebt im Chor zwischen Altar und Fenster und weist auf ihre Bedeutung in der Religion sowie in der Kunst hin. Mit ihrer partiellen Durchlässigkeit verbindet sich Altes mit Neuem und bezieht sich formal auf die lange Tradition der Glaskunst in der Kirchenarchitektur.»

Mit dem Kunstwerk «Wolke» von Ursula Palla wird der gotische Kirchenraum neu akzentuiert, geschmückt und theologisch wie ästhetisch dem Denken, Sehen und Fühlen des 21. Jahrhunderts angepasst.

Der Chorraum ist für die Gemeinde und für die Gottesdienste von entscheidender Bedeutung. Denn er steht bei allen Feiern im Zentrum des Blicks. Deshalb sollte er die Gedanken und die Stimmung der Anwesenden und der hoffnungsfrohen Verkündigung des christlichen Gedankengutes Ausdruck verleihen.

Die Predigerkirche ist auch ein etablierter Konzertraum. Die gläserne Wolke wird den zahlreichen Konzertbesucherinnen und –Besuchern die Auseinandersetzung mit und Freude an diesem Kunstwerk bieten.

Auch soll das Projekt an der Weiterentwicklung der Kirchenausstattung ein zeitgenössischer Beitrag geleistet werden.




Ursula Palla

Die Künstlerin Ursula Palla (* 1961 in Chur) arbeitet in Zürich.

In ihren Videoarbeiten, Installationen und Skulpturen setzt sie sich mit dem Verhältnis von Natur, Kultur und Technik, Wirklichkeit und Künstlichkeit auseinander.



Das «SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz» schreibt über die Künstlerin:

«Videokünstlerin. Fotografie, Installation, Aktions- und Objektkunst.
1994-2002. Mitglied der Performancegruppe Cooperation Projekt X (cpx)

Tätigkeitsbereiche
Installation, Aktionskunst, Objektkunst, Video, Fotografie, Kunst im öffentlichen Raum, Performance, Malerei

Ursula Palla ist in Chur geboren und dort aufgewachsen. Nach dem Abschluss der Schulen folgt eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und das Studium einiger Semester Psychologie an der Universität von Bern. Von 1989 bis 1992 besucht sie die F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich mit Schwerpunkt Zeichnung und Malerei. Früh entdeckt sie die Kunst von Alberto Giacometti, Giovanni Segantini, William Turner und Paolo Veronese. Auch als Video- und Installationskünstlerin bleibt für Palla das tradierte Gemälde ein wichtiger Bezugspunkt. Die Ausstellung Video-Skulptur von 1989 im Kunsthaus Zürich (1989) beeindruckt sie nachhaltig. Zwischen 1994 und 2002 beteiligt sich Palla an der Performancegruppe Cooperation Projekt X (cpx) und eignet sich in diesem Zusammenhang wichtige Erfahrungen im Umgang mit elektronischen Medien an.

Seit 1992 erfolgt eine rege Ausstellungsbeteiligung, so an ‹Freie Sicht aufs Mittelmeer› (Kunsthaus Zürich, 1998), an der talumspannenden Ausstellung ‹Arte Bregaglia› (2008) im Bergell und an der Ausstellung ‹Das schwache Geschlecht − Neue Mannsbilder in der Kunst› (Kunstmuseum Bern, 2013). Unter den Einzelausstellungen sind die Präsentationen ‹Das weite Land› (Kleines Helmhaus, Zürich, 1999) und ‹Strange Paradise› (Bündner Kunstmuseum, Chur, 2008) hervorzuheben. 2013 gastierte sie mit der Ausstellung ‹Die fünfte Jahreszeit› im Museum Langmatt in Baden. Bestimmend für ihren Werdegang als Künstlerin sind auch das dreimonatige Artist-in-residence-Stipendium auf dem Künstlerinnenhof ‹Die Höge› bei Bremen (2001) und das zweijährige Atelierstipendium ‹Binz 39› in Zürich (2003−04).

Ursula Palla arbeitet mit Video und Installation und schafft bewegte Raumbilder von poetischer Dichte, in denen sich realer und virtueller Raum überlagern. Einer Forscherin gleich unterlegt sie ihre Arbeiten mit gründlichen Recherchen. So sind ihre Werke auf verschiedenen Ebenen zugänglich: Auf der formal- ästhetischen berührt die unmittelbare Bildkraft von oft suggestiver, aber immer auch fragiler Schönheit, auf der inhaltlichen Ebene fliessen mitunter kritische, manchmal gar verstörende Töne ein, oder aber es schwingt ein hintergründiger Humor mit. Nichts wird dabei ausformuliert; die Künstlerin selber spricht von der Bedeutung der ‹Leerstellen›.

Steht im Frühwerk der Mensch als Figur zwischen Erscheinen und Verschwinden im Fokus, treten nach 2000 Landschaft, Blumen- und Tierwelt motivisch in den Vordergrund. Als zentrale Thematik in Pallas Werk kristalliert sich immer eindringlicher die Künstlichkeit der Natur − vom Menschen vereinnahmt und manipuliert − heraus. Im Video Flowers II von 2001 öffnet und schliesst sich die animierte Rose asymmetrisch und produziert dabei einen schmatzenden und verschlingenden Ton, während in der interaktiven Videoinstallation ‹Flowers I› (2001−03) der üppige Blumenstrauss in dem Moment explodiert, in dem der Besucher vor die Projektion tritt. In ‹The Horse› (2013) wiederum bewegt sich ein Pferd auf einem Laufband an Ort und Stelle – Sinnbild für die Ohnmacht und das Ausgeliefertsein gegenüber dem Menschen. ‹Schaukel 2›, eine Installation von 2013, verursacht ein geradezu metaphysisches Unbehagen: Immer stärker schwingt die Schaukel im Raum hin und her, bis sie schliesslich gegen die Wand prallt und diese beschädigt. Unvermittelt kippen idyllische Kindheitserinnerungen in ein Bild von Gewalt und Zerstörung.

Eine grundsätzliche Ambivalenz prägt Ursula Pallas Werk. Einerseits gehört sie einer Künstlergeneration an, welche seit den 1990er-Jahren die illusionistischen Wirkungsprinzipien des Mediums Video affirmativ nutzen; gleichzeitig ist ihre Kunst von einer kritisch-konzeptuellen Vorgehensweise geprägt, die genau diese Verführungsmechanismen der Medienkultur als Täuschung entlarvt.

Werke: Kunstmuseum Bern; Bremen, Weserburg Museum für moderne Kunst; Chur, Bündner Kunstmuseum; Pfäffikon (SZ), Seedamm-Kulturzentrum; Kunstsammlung des Kantons St. Gallen; Kunsthaus Zürich. Affentranger-Kirchrath Angelika, 2014

Quelle: www.sikart.ch/KuenstlerInnen.aspx?id=9701089&lng=de (November 2020)
Siehe auch: ursulapalla.ch



Wettbewerb und Projektgruppe

Unter dem Thema «lichtleichtleichtlicht» und damit dem Auftrag, der hoffnungsfrohen Verkündigung des christlichen Gedankengutes Ausdruck zu verleihen, wurden im Jahr 2020 zehn Künstlerinnen und Künstler für einen Gestaltungsentwurf des Chorraumes angeschrieben. Sieben haben einen Projektentwurf eingereicht.

Als Siegerprojekt wurde das Werk «Wolke» von Ursula Palla ausgewählt.

Die Projektgruppe setzt sich zusammen aus:
Beatrice Voirol (Kuratorin Museum der Kulturen),
Empi Kern (Hochbauzeichner, Illustrator, Gestalter),
Ernesto Otter (Mitglied des Kirchenrates)
Christoph Studer Gladen (Psychiater)
Karin Schaub Bangert (Diakonin).

Die Gemeinde wurde «tastend» einbezogen; einerseits durch die Frageblätter, die im Rahmen der Wettbewerbspräsentation aufgelegt wurden, anderseits durch die Möglichkeit, sich mündlich zu äussern.

Auswertung und der Entscheid lagen bei der Projektgruppe.



Kosten

Die Gesamtkosten für das Kunstwerk sind rund 130'000 Franken.

Das Kunstwerk besteht aus 300 mundgeblasenen Glaskugeln. Einzelne davon können gespendet oder als Geschenk «weitergeben» werden. Eine Kugel kostet 222 Franken.



Wolke
Religionsphilosophische und spirituelle Bedeutung

Von Karin Schaub und Michael Bangert

Wolken nehmen in der gesamten Menschheitskultur eine zentrale Funktion bei der symbolischen Darstellung des Unsagbaren und Numinosen ein. Mit dem natürlichen Phänomen der Wolke werden verschiedene Erfahrungen mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht. Die Symbolik der Wolke hat bis in unsere Gegenwart («cloud») eine elementare Fähigkeit, die Polaritäten von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, von Schönheit und Gefahr, von Zuversicht und Gefährdung zum Ausdruck zu bringen.

Im gesamten Kulturkreis der mittelmeerischen Antike galten Wolken als Symbole der Verhüllung, zugleich aber als Orientierung und Wegweisung. So zieht Gott im Buch Exodus als Wolkensäule vor den Israeliten her, die aus Ägypten fliehen: «Und der Gott zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, dass er sie den rechten Weg führe, und des Nachts in einer Feuersäule, dass er ihnen leuchtete, damit sie bei Tag und bei Nacht wandeln konnten.» (Ex 13, 21). Auch der auferstandene Christus wird von Wolken verhüllt (Apg 1,9).

Auf Bildern des jüngsten Gerichts wird der Thron Gottes aus Wolken gebildet und in der frühmittelalterlichen Kunst ist der Schöpfer durch eine Hand symbolisiert, die durch die Wolken dringt. Dieses Bild steht für die unbenennbare, undefinierbare Gegenwart des göttlichen Geheimnisses.

Auch im Islam steht die Wolke für die Unerforschlichkeit Allahs. Die Worte Allahs im Koran stehen in der Tradition der altorientalischen Wolkensymbolik: «Hast du nicht gesehen, dass Gott die Wolken einhertreibt, sie dann zusammenfügt, sie dann aufeinander schichtet, so dass du Regen aus ihrer Mitte hervorströmen siehst …» (Koran 24,43).

In der chinesischen Tradition gelten Wolken als Symbol für Glück und Frieden sowie für die westliche Himmelrichtung; unter Wolken-und-Regen-Spielen versteht man in diesem kulturellen Kontext die geschlechtliche Vereinigung.

In Naturreligionen stehen die Wolken als Regenbringer ebenfalls in Verbindung mit Fruchtbarkeit und Gedeihen des Lebens.


Biblische Aspekte

Wolken nehmen sowohl im Alten Testament als auch im Neuen Testament einen wichtigen Platz ein. Sie galten als der himmlische Schleier der Gegenwart Gottes, als sein Wagen und als der verborgene Platz seiner Stärke.

Es gefiel Gott, seine Gegenwart gegenüber Israel in einer Wolke zu offenbaren. Die Wolkensäule leitete die Kinder Israel durch die Wüste (Ex 40,34-38). Als sie die Stiftshütte bauten, verhiess Gott ihnen, in der Wolke über dem Deckel der Bundeslade zu erscheinen (Lev 16,2). Zu besonderen Anlässen kam Gott zudem zu Mose, um ihn zu unterweisen (Num 11,25). Der Glanz aus der Wolke legte sich auf das Angesicht des Moses und strahlte weiter.

Bei der Einweihung des Tempels erfüllte die Wolke das Haus, so dass die Priester ihren Dienst wegen der Wolke nicht verrichten konnten, «denn die Herrlichkeit des Gottes erfüllte den Tempel.» (1. Kön 8,10.11; vgl. Num 14,10). Die Wolke als sichtbar-unfassbares Symbol der Herrlichkeit Gottes wird oft Schechina genannt. Das Wort ist von dem aramäischen Wort shakan, «ruhen», abgeleitet. Dieses Wort taucht in der Schrift nicht auf, aber es wird oft von jüdischen und christlichen Schreibern benutzt, um den Wohn- oder Ruheort Gottes zu beschreiben.

Das Wegbleiben oder Weichen der Wolke bedeutete Fluch und Krankheit (Num 12,10).

Wir sehen also, dass die Segensgegenwart und Leitung Gottes oft durch eine Wolke versinnbildlicht wird (Neh 9,12; Ps 99,7; aber auch Mt 17, 5).

Die Verbindung von Gottesgegenwart und Fruchtbarkeit findet sich in der biblischen Weisheitskultur: «Wohlgefallen ist wie eine Wolke des Spätregens.» (Spr 16,15). Wolken können auch Sinnbilder der Vergänglichkeit sein. So findet sich die Rede von bösen Gestalten als «Wolken ohne Wasser, von Winden hingetrieben» (Jud 1,12). Das Buch Hiob Hi 7:9 vergleicht das Sterben der Menschen mit einer «schwindenden, ziellos dahinfahrenden Wolke» (Hiob 7,9). Der Prophet Hosea spricht von oberflächlicher, wertloser Frömmigkeit als einer «rach vergänglichen Morgenwolke» (Hos 6,4).


Durchgängig ist das Bild der Wolke Ausdrucksmittel für die segenreiche Anwesenheit des Göttlichen.

Allemal ist die Wolke selbst auch stets Kreatur des göttlichen Schöpferwillens. Die Wolken vermitteln das lebendige Wirken Gottes: «Ich will den Wolken gebieten.» (Jes 5,6) und im 78. Psalm, Vers 23: «Er hat den Wolken oben am Himmel geboten.»

Im Neuen Testament überschattete auf dem Berg der Verklärung eine Wolke die Anwesenden und «eine Stimme erging aus der Wolke, die sagte: Dieser ist mein geliebter Sohn, hört auf ihn» (Lk 9,34.35). Bei der Himmelfahrt nahm eine Wolke Christus auf, von dem Blick seiner BegleiterInnen Augen weg, um damit seine Rückkehr in die Dimension Gottes zu symbolisieren (Apg 1,9).

In der apostolischen Zeit setzt sich die Vorstellung durch, dass durch eine Art «Wolken-Entrückung» die toten und die lebenden Heiligen in Wolken dem Herrn entgegen geführt werden (1 Thes 4,17).

Die Rückkehr Christi auf die Erde wird im Anschluss an die alttestamentlichen Vorstellungen ebenfalls mit der Wolkensymbolik verknüpft: Er wird in bzw. auf einer Wolke kommen (Lk 21,27; Off 1,7).

Der wiederkehrende Christus werde auf einer «weißen Wolke» sitzend über die Welt sein Gericht der Liebe halten. (Off 14,14-16).

Der unfassliche Gott, der in einem für Menschen unzugänglichen Licht ist, offenbarte seine Gegenwart durch Wolken, die zum einen verschleiern und zum anderen aber auch enthüllen.


Tradition der europäischen Mystik


Die Mystik im Abendland macht sich die Symbolik der Wolke in weiten Teilen zu eigen. Um das zum Ausdruck zu bringen, «was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und keines Menschen Sinn erfahren hat», bietet sich das Spektrum der biblischen Wolkenmetaphorik unmittelbar an. Der innere Weg der Mystik, den sowohl das Ergriffen-Sein als auch das Nicht-Ergreifen kennzeichnen, findet in der Wolke eine adäquate Ausdrucksform.

Insbesondere die Eigenart des Lichtes der Wolken findet Eingang in die Kultur mystischer Spiritualität. Der Dominikaner Johannes Tauler (1300-1361), der am Oberrhein wirkte und für mehrere Jahre im Basler Konvent der Predigerbrüder lebte, verwendet für die göttliche Gegenwart das Bildwort vom «ungeschaffenen Nichts» («ungeschaffen nút»), das in seiner Offenheit unmittelbar an die biblische Wolkensymbolik anschlussfähig ist. Das trifft ebenfalls zu, wenn Tauler vom «ungeschaffenen Licht» und von der unnennbaren, aber doch wahren Gegenwart Gottes im Sein des Menschen spricht.

In besonderer Weise wird die Wolkenmetaphorik im 14. Jahrhundert von einer mystischen Bewegung in England aufgegriffen, die sich schwerpunktmässig aus Handwerkern und Laien, Männern und Frauen, zusammensetzt: «Die Wolke des Nichtwissens» («The Cloud of Unknowing»). Das zentrale biblische Bild, das der Schrift ihren Namen gegeben hat, ist wiederum die Wolke am Gipfel des Gottesberges Sinai, innerhalb derer Mose Gott erfahren durfte (Ex 16,10). Damit ist auch der zentrale Inhalt des Werkes benannt: Die spirituelle Vereinigung des Menschen mit Gott! Bei diesem Weg zur Einheit von Gott und Mensch werden die üblichen Erkenntniswege überschritten. Die Begegnung mit dem Göttlichen ist mit der Vernunft nicht erfassbar. Sie entzieht sich dem Zugriff des Menschen ebenso wie eine Wolke sich dem menschlichen Zugriff entzieht. Die geistliche Unterweisung der «Wolke des Nichtwissens» enthält zahlreiche psychologische Details, die, obwohl ganz vom Christentum her entwickelt, eine deutliche Strukturanalogie zu asiatischen Kontemplationsformen, insbesondere zum Zen-Buddhismus, aufweisen. Das hat zahlreiche Rezeptionen der mystischen Wolkensymbolik zur Folge, – u.a. durch den Zen-Meister Willigis Jäger und den Basler Theologen Hans Urs von Balthasar.
Publiziert von Franz Osswald am 01.04.2021